Missstände in der Medieninformatik an der Universität Tübingen

vier personen, die vor einem Laptop sitzen und sprechen
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Studierende der Informatikfächer an der Universität Tübingen prangerten in einem Brandbrief mit über 500 Unterschriften an Rektorin Pollmann gravierende Missstände in der Medieninformatik an.

Die seit nunmehr zwei Jahren unbesetzte Kernprofessur der Medieninformatik und die darunter leidende Koordination mit den
Medienwissenschaften führt dazu, dass Studierende des interdisziplinären Studiengangs sich von diesem abwenden. Aktuelle
Studierende raten Studienanfängern aktiv von der Wahl der Medieninformatik ab – oder zu einem anderen Studienstandort. Die seit
2021 drastisch gefallenen Studierendenzahlen bestätigen dies.

Wachsende Frustration und sinkende Studierendenzahlen

Den Studierenden zufolge sind Pflichtmodule wie „User Experience“ unregelmäßig oder gar nicht verfügbar. Zudem erschwert eine hohe Fluktuation bei vertretenden Dozierenden die Qualität der Lehre. Alfredo, ehemaliger Student der Medieninformatik, bestätigt: „Jedes Jahr betreue ich viele Erstsemester der Medieninformatik, die zu Beginn noch voller Elan und Motivation sind. Doch ich muss schon nach wenigen Wochen feststellen, dass sie schnell von nicht stattfinden Pflichtvorlesungen, fehlender Kommunikation und schlechter Planbarkeit frustriert sind.“

Fehlende Kommunikation von Seiten der Universitätsleitung

Die Studierenden kritisieren nicht nur den Zustand des Studiengangs, sondern auch das Verhalten des Rektorats. Evelyn, Vertreterin der Fachschaft, erklärt: „Seit mehr als zwei Wochen liegt der Brandbrief dem Rektorat vor. Bis heute haben wir nicht einmal eine
Minimalreaktion erhalten. Das wirkt auf uns, als wäre das Rektorat entweder planlos, oder absichtlich undurchsichtig. Die Rektorin muss sich endlich für oder gegen die Medieninformatik entscheiden.“

Aufruf zum Handeln

Auch Lukas, Referent für Studium und Lehre der Verfassten Studierendenschaft Tübingen fordert das Rektorat auf, schnellstmöglich
Maßnahmen zur Verbesserung des Studiengangs zu ergreifen: “Entweder das Rektorat ermöglicht die Sicherung der grundständigen Lehre oder es setzt sich für eine Aufhebung des Studiengangs ein. Der aktuelle Zustand ist für Studierende der Medieninformatik nicht fair.”

Original-Brandbrief

Sehr geehrte Frau Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Pollmann,

wir – die Studierenden des Fachbereichs Informatik sowie der Fachschaften Informatik und Kognitionswissenschaft – schreiben Ihnen wegen des akuten Missstands der Studiengänge Medieninformatik B.Sc. und Medieninformatik M.Sc.

Unser Anlass ist der Studieninfotag vom 20.11.2024. Durch den expliziten Austausch mit Studierenden, die aktuell Medieninformatik im Bachelor studieren, sind wir zum wiederholten Male auf die prekären Verhältnisse der Lehrsituation in der Medieninformatik aufmerksam geworden. Seit zwei Jahren ist nun die Kernprofessur der Medieninformatik unbesetzt.
Das Berufungsverfahren ist unter Beteiligung unserer studentischen Mitglieder bereits im Sommer 2023 durch alle Gremien gegangen und wartet immer noch auf ein Ergebnis. Unter anderem ist sie für das Pflichtmodul “User Experience” verantwortlich, welches auch für Medizininformatiker*innen verpflichtend ist. Studierende der Medieninformatik sind zunehmend frustriert und raten Studieninteressierten vermehrt stark davon ab, Medieninformatik an der Universität Tübingen zu studieren unter Verweis auf andere Hochschulen.

Der Angebotszeitraum der Pflichtmodule ist aktuell unregelmäßig und ein Studium daher schwer bis gar nicht planbar.
Studierende müssen am geplanten Ende des Studiums damit rechnen, ihr Studium zu verlängern, da erneut ein Modul auf das nächste Semester verschoben wird.

Die hohe Fluktuation der vertretenden Dozent*innen, die durch die nicht besetzte Kernprofessur nötig sind und bisher vom Fachbereich Informatik rekrutiert werden, führt zu einer unzureichenden Lehrqualität.
Als Beispiel lässt sich das Modul “Grundlagen der Multimediatechnik” nennen. Dieses wurde in den letzten vier Semestern von vier unterschiedlichen Dozierenden gehalten. Daher bleibt den Dozierenden in der Vorbereitung oft keine andere Möglichkeit, als die Folien der Vorgänger*innen zu verwenden. Auf Fragen kann meistens nicht geantwortet werden und auch der Übungsbetrieb läuft oft sehr unkoordiniert.

Ein weiteres Problem ist die fehlende fachliche Studierendenbetreuung. Bei Fragen zum Studium gibt es keine dedizierte Ansprechperson. Darüber hinaus sind die Wahlpflichtmodule in den Medienwissenschaften nicht auf Teilnahme der Studierenden der Medieninformatik ausgelegt. Beispielsweise wird Studierenden der Medieninformatik in bestimmten Veranstaltungen die Teilnahme an vorlesungsbegleitenden Tutorien verwehrt. Zwar gibt es bei manchen Professor*innen aus der Medienwissenschaft die Bereitschaft für einen Austausch mit der Medieninformatik (z.B. Alumnis für den Alumnitag), aber es fehlt ein*e entsprechende*r Anprechpartner*in.

Insgesamt wird das Fach von Studierenden der Medieninformatik daher als schlecht konzipiert, ziellos und irrelevant für das Berufsleben wahrgenommen. Die Meisten haben angesichts der Umstände kapituliert. Studierende im 5. Fachsemester “ziehen den Abschluss noch durch”. In früheren Fachsemestern wird aktiv zu anderen Studiengängen im Fachbereich Informatik oder gleich zu einer anderen Hochschule gewechselt. Die Studienzahlen in der Medieninformatik sind hierdurch stark eingebrochen.

2024/20252023/20242022/20232021/2022
Medieninformatik B.Sc.95108118175
Medieninformatik M.Sc.38455154

Studierendenzahlen aus der Studierendenstatistik der Universität Tübingen

Sie selbst sagten bei der Feier der Dr. K. H. Eberle Stiftung zu digitalen Lehrprojekten 2023, dass die interdisziplinären Studiengänge – mit dem exemplarischen Verweis auf die Medieninformatik – ein Kennzeichen der Universität Tübingen sind und einen wichtigen Teil ihres Erfolges ausmachen. Dieser Erfolg ist nicht selbstverständlich und wird bewusst riskiert!

Es muss Ihnen ein Anliegen sein, dass der Studiengang Medieninformatik wieder studierbar ist und erfolgreich abgeschlossen werden kann. Deshalb laden wir Sie zu einem Austausch über die Zukunft der Medieninformatik im Sinne der Studierenden und der Universität Tübingen ein.

Wir werden nicht hinnehmen, dass die Medieninformatik durch Fehlplanung und falsche Priorisierung abgeschafft wird!

Mit freundlichen Grüßen,
Die Studierenden des Fachbereichs Informatik
Die Fachschaften Informatik und Kognitionswissenschaft

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